15.08.2013

Gladbeck 1988 - "Deutschland außer Kontrolle" - Schlingensiefs Blick auf die Welt in der wir leb(t)en

"Am 16. August 1988 überfielen Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski in Gladbeck, Kreis Recklinghausen, eine Bank. In der Folge nahmen sie Geiseln, kaperten Fahrzeuge, fuhren auf einer irren Irrfahrt durch Deutschland: Immer begleitet nicht etwa nur von der Polizei, sondern vor allem von verschiedenen Journalisten, die live und in Farbe während der Tat von der Tat berichteten. Die Geiselnehmer verhandelten nur über die Medien, und jeder hörte zu; sie gaben Interviews, ließen Kameraleute das Innere ihres entführten Busses filmen. Ein Journalist stieg gar in ihr Fluchtauto und lotste sie aus der Kölner Innenstadt heraus (wo sie sich von einer Masse von Zuschauern hatten bewundern lassen), gegen den Preis eines Exklusivinterinterviews. Im Laufe der Geiselnahme kamen zwei Geiseln durch Schüsse der Verbrecher und ein Polizist durch einen Unfall um, eine weitere Geisel überlebte schwer verletzt.

Dieses Trauma der späten westdeutschen Republik flicht Schlingensief ein in seine Mär von Rassismus, Kampf, Gewalt, Hilflosigkeit, Vergewaltigung und deutscher Realpolitik. „Der nun folgende Film schildert einen authentischen Fall aus dem Jahre 1992. Deutschland hat sich verändert. Die Asylantenheime sind überfüllt. Die Regierung befindet sich auf dem Rückzug. Die Polizei vor Ort ist alleingelassen. Ein großer Teil der Bevölkerung ist außer Kontrolle geraten und leistet offen Widerstand. […] Meine Damen und Herren, liebe Jungen und Mädchen, genießen Sie mit uns in den nächsten Minuten eine Welt voller Liebe, Angst, Sexualität und Tod. Genießen Sie mit uns die Welt, in der wir leben. Gute Unterhaltung.“ So stimmt ein Sprecher auf den Film ein, unterlegt von schwarz-weißen Bildern aus Asylantenheimen.

Schlingensiefs Blick auf die Welt, in der wir leben, ist ein hochkonzentriertes Destillat. Und entsprechend überzogen, überdreht, überspannt sind seine Filme. Doch seine Analyse der Verhältnisse ist scharf und exakt: Wenige Monate nach den Dreharbeiten zu „Terror 2000“ brannte im August 1992 medienwirksam ein Asylantenheim in Rostock-Lichtenhagen, Skinheads attackierten mit Molotowcocktails, die Polizei schaute weg, und im belagerten, brennenden Asylantenheim filmte ein ZDF-Fernsehteam alles mit: Eine schlingensiefeske Situation, die in der Wirklichkeit stattfand.
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Quelle: http://www.filmzentrale.com