05.07.2019

Stranger Things: Unsere Kindheit aus einer anderen Welt

Vor ein paar Monaten ist ein "offizielles Begleitbuch" zur Serie Stranger Things erschienen. Darin erfuhr man zum Beispiel, dass der Star der Serie, das außerweltlich begabte Mädchen Eleven (das in der deutschen Übersetzung leider immer "Elfi" heißt) eigentlich ein Wiedergänger von Stephen Kings Feuerteufel ist. Man erfuhr, dass ja auch im Horrorklassiker Poltergeist über Haushaltsgeräte mit dem Jenseits kommuniziert wird, ähnlich wie in der ersten Staffel der Serie, und dass ihre Schöpfer Matt und Ross Duffer, als sie eine Szene mit einer Axt und einer Tür drehten, an den Film Shining mit Jack Nicholson gedacht haben.
Das Buch erschien wie das Lösungsheft zu einem Quiz, das wohl fast alle spielen, die Stranger Things ansehen und dabei versuchen, der Zauberformel auf die Spur zu kommen, mit der die Serie uns in unschuldige amerikanische Kindheitssommer zurückversetzt und uns überzeugend einredet, unsere eigenen hätten im Wesentlichen genauso ausgesehen wie eben jene in Hawkins, Indiana.
Wie perfekt die Serie aus den Plastiktrümmern von GI-Joe-Spielsachen und Atari-Computern, aus Häkeldecken und BMX-Rädern, Camaros und Makramee ein verlorenes Paradies kollektiv eingebildeter (westlicher) Achtzigerjahregeborgenheit auferstehen lässt, darin besteht wohl ihr größter Reiz. Dazu läuft der geisterhaft synästhetische Soundtrack von Kyle Dixon und Michael Stein. Und selbst die dräuenden Weltuntergänge, Vorstadtapokalypsen und Abenteuer der Serie wirken in diesem Licht zwar bedrückend, aber eben wie die sinnvolle Symbiose des Besten von John Carpenter, Steven Spielberg und ein wenig Enid Blyton.
Nun, in Staffel drei, ist das Jahr 1985, die Kinderclique pubertiert nun munter vor sich hin, und eine Mall hat in Hawkins eröffnet. Ironischerweise sind es, wie sich bald herausstellt, Sowjetagenten, die den Einkaufszentrumskapitalismus in die amerikanische Provinz bringen; allerdings nur, um tief darunter wieder das Tor zu jener Schattenwelt zu öffnen, aus dem schon in den beiden Staffeln zuvor das Unheil kam.
Und es braucht nur wenige Minuten, bis ein Mann, der Arnold Schwarzenegger in Terminator sehr ähnlich sieht, einen anderen Mann in der Luft erwürgt, was wiederum Darth Vader im ersten Teil von Star Wars sehr ähnlich sieht, während wenig später ein Fleischschleimmonster herumkriecht, das einer XXXL-Version vom Ding aus einer anderen Welt sehr ähnlich sieht; was in dieser Ereignisdichte dem glucksenden Videothekar sehr ähnlich sieht, der auf einer Party keuchend seine Lieblingsszenen in 30 Sekunden referiert. Es ist bisweilen, als hätten die Duffer-Brüder ihr vormals oft nuanciertes enzyklopädisches Spiel mit Referenzen und Allusionen teilweise aufgegeben und seien nun unter die Memorabiliasammler gegangen, die sogar Drogerieprodukte dieser Epoche mit aufdringlichem Blick abfilmen lassen.
Allein die erste Folge ihrer neuen Staffel ist gefährlich näher an einem regressiven Nostalgie-Readymade als alle Folgen der vorigen Staffeln zusammen. Manches Zitat wirkt nun wie eine Spielmarke, manches wie bloße Staffage, einige hektische Abfolgen von Zeitkolorit wie eine planlose Weißt-du-noch-Revue, die in ihrem Dekor luxuriert. Dass nun auch noch cartooneske Russen auftauchen, dass der Witz über die damals eingeführte neue Coca-Cola-Formel länger breitgetreten wird als es diese "New Coke" damals gefühlt gegeben hat, macht diese Staffel nicht unbedingt subtiler.
Allerdings, und das ist vielleicht die größte Leistung dieser Serie, ist sie immer noch besser als die Mehrheit der Produktionen, die Netflix sonst auf seine Server bläst. Den liebenden Blick auf die Kindheit haben sich die Duffer-Brüder glücklicherweise erhalten, ebenso wie die Rasanz ihrer Schnitte und den Witz ihrer Dialoge. Der Soundtrack dieser Zeit ist noch immer originell zusammengestellt, und die Darsteller sind weiterhin oft bezaubernd, bis in die Nebenfiguren hinein.
Und wenn auch die Technik des Splitscreens im Wesentlichen das Arschgeweih aller filmästhetischen Mittel ist, kommt sie in Stranger Things 3 zu einem sehr würdigen Einsatz. Vielleicht, sagt der Junge Lucas an einer Stelle, seien Remakes ja manchmal sogar auch süßer und besser als das Original. Für die vierte Staffel, die bereits angekündigt wurde, sollten die Duffer-Brüder ihrer Figur jedoch lieber nicht glauben.
Alle drei Staffeln von "Stranger Things" sind auf Netflix abrufbar.


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