24.01.2020

"Star Trek: Picard": Ach ja, Zukunftsglaube, schön war's



Die Freuden des Winzerwesens und des Rotweingenusses haben in den 54 Jahren der bisherigen Star-Trek-Geschichte eine untergeordnete Rolle gespielt; jedenfalls dies ändert sich deutlich in der neuen Serie Star Trek: Picard, die von Freitag an auch in Deutschland zu sehen ist. Der titelgebende Ex-Admiral Jean-Luc Picard – gespielt von Patrick Stewart – hat sich nach seiner Demission aus der Sternenflotte auf das Weingut seiner Familie in der Bourgogne zurückgezogen. Aufmerksame Betrachter erinnern sich eventuell noch daran, dass er diesem schon einmal einen Besuch abgestattet hat: in der vierten Staffel der Serie Star Trek: The Next Generation, in der Picard von 1987 bis 1994 die Hauptrolle gab. Es folgten vier Kinofilme, in denen er eine Rolle spielte. Zum bislang letzten Mal ist er in dem Film Star Trek: Nemesis zu sehen gewesen, 2003, vor nun auch schon wieder siebzehn Jahren.
Die Zeit seither hat der Sternenflottenkapitän im Ruhestand zugebracht. Er hat knospende Triebe gepflegt und Trauben beim Reifen betrachtet, er hat abends auf der Terrakottaterrasse seines Anwesens gesessen und über sein Leben nachgedacht: über die Schuld, die er auf sich geladen hat; über seine gescheiterten Versuche, Frieden, Gerechtigkeit und Völkerverständigung im Alpha-Quadranten der Galaxie herzustellen; und über die gewandelten Zeitläufte, die es einem ehrlichen Raumschiffkapitän wie ihm immer schwerer machen, noch an die Moral und die Ideale der Menschlichkeit zu glauben.

Viel Grübeln und Hadern

Es liegt ein elegischer Ton über dieser neuen, nunmehr siebten Star-Trek-Serie, jedenfalls in den ersten drei Folgen, die es vorab zu sehen gab. Es wird viel gegrübelt und mit sich gehadert. Picard handelt fast durchweg von Menschen und anderen Wesen, die sich fremd in der Welt fühlen, in die sie geworfen wurden; die ihren Platz darin suchen und nach einer individuellen Identität.
Damit schließt die Geschichte an die klassischen Picard-Abenteuer aus den sieben Staffeln von Next Generation an und generell an die skeptische Science-Fiction der Achtziger- und Neunzigerjahre. Diese war ja durchweg von schwachen, selbstzweifelnden Weltraumfahrern beherrscht und von den Themen der Nicht-Identität und der Ich-Dekonstruktion – nicht nur bei Star Trek und nicht nur im Fernsehen (man denke etwa an die SF-Romane von Octavia Butler), aber dort in besonderem Maße. Man sehe sich noch einmal eine jener alten Next-Generation-Episoden an: mit diesen endlosen Grübeleien Picards über Pflicht und Verantwortung, Freud und Leid seiner persönlichen Führerrolle; mit dem dauerhaft an sich selbst leidenden Androiden Data, der trotz menschenähnlichem Design doch niemals ein echter Mensch werden kann; mit der weidlich ausgereizten Skurrilität des Kollektiv-Aliens Borg, das "mit sich identisch" nur in der Nichtidentität einer Vielheit miteinander verflochtener Wesen sein kann.
Das ist alles lange her. Fragen wie diese – nach Moral, Verantwortung und Identität – waren aus den Star-Trek-Serien der Nuller- und Zehnerjahre weitgehend verschwunden. In den vier Staffeln von Star Trek: Enterprise (2001 bis 2005) konnte man, passend zum Geist der sich wieder militarisierenden Post-9/11-Welt, markige männliche Helden bei der Eroberung des Weltalls betrachten und beim von keinerlei Selbstzweifeln getrübten Kampf gegen alles Nicht-Menschliche. Die bislang letzte Serie Star Trek: Discovery (zwei Staffeln seit 2017, eine dritte ist angekündigt) spielte in der Zeit eines Kalten Kriegs  gegen die hier noch als Erzfeinde der Menschheit auftretenden Klingonen. Immerhin bemühten sich die Drehbuchautoren darum, das manichäische Schema Gut gegen Böse durch psychologische Differenzierung aufzubrechen.
Star Trek: Picard wirkt von all diesen Entwicklungen völlig unbehelligt und schließt vielmehr nahtlos an die pazifistische Stimmung der Originalserie an. Das ist eine dramaturgisch interessante Bewegung, aber man bemerkt beim Betrachten vor allem auch, wie weit entfernt unsere Gegenwart inzwischen von jener Zeit ist, die in Next Generation einst ein so gutes Spiegelbild fand; von einer Zeit, in der man sich schon einmal am "Ende der Geschichte" angelangt glaubte und in einem Zustand, in dem alle Konflikte durch den Wunsch nach Verständigung beigelegt werden können, durch den zwanglosen Zwang des besseren Arguments und durch größtmögliche Empathie mit dem Fremden und Anderen. Davon kann 2020 keine Rede mehr sein. So gilt die Nostalgie, die Star Trek: Picard verströmt, nicht nur einer alten Science-Fiction-Serie und ihren Helden, sondern auch einer vergangenen Ära der Zuversicht und des Friedens.


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