01.10.2019

Leichtathletik-WM: "Es ist ein Desaster"

Es ist ein Bild von Schönheit, und von Traurigkeit. "How can I help you?", steht auf dem Pappschild des Mannes auf dem Platz vor dem Khalifa International Stadium in Doha. Neben ihm Palmen, dahinter der Sonnenuntergang. Nur helfen lassen will sich niemand. Er ist der einzige Mensch weit und breit.
Bislang fällt diese Leichtathletikweltmeisterschaft vor allem dadurch auf, dass kaum jemand da ist. Sogar das Lokale Organisationskomitee (LOC) räumte am Montag ein, dass die Zuschauerzahlen nach zwei "soliden Tagen" am dritten unter den Erwartungen blieben. "Unter 50 Prozent" hieß es, was wiederum so einiges bedeuten kann. 48 Prozent, oder auch 10. Auffällig war aber, dass viele Sitze leer blieben, dem Eindruck nach oft sogar mehr, als gefüllt waren. Und das, obwohl sie die Hälfte der Ränge im Stadion vorsorglich schon abgedeckt hatten. Statt 40.000 passen während der WM nur 17.000 rein.
Die Vergabe der Weltmeisterschaft in die Wüste war von Anfang an kritisiert worden. Hitze und Luftfeuchtigkeit seien unzumutbar, Nachhaltigkeit in klimatisierten Stadien nicht gegeben, die Menschenrechtslage, etwa im Hinblick auf Homosexuelle, nicht hinnehmbar. Der Weltverbandspräsident, Sebastian Coe, verwies dann immer wieder darauf, dass der Sport doch seinen Beitrag leisten könnte, dass es besser wird. Die Leichtathletik sei als Weltsport für alle da und müsste sich auch neue Märkte erschließen.

Medaillenzeremonie im Geisterstadion

Bislang darf man feststellen: Diese WM ist genauso schlimm wie befürchtet. Sportlerinnen kollabieren und müssen erschöpft in Rollstühlen und gar im Krankenwagen abtransportiert werden. Wer auf den Beinen bleibt, ärgert sich mit einer verlängerten Saison und dem stetigen Gang durch die Klimazonen herum. Bestleistungen sind schwer möglich. Und wer gewinnt, winkt bei der Ehrenrunde leeren Sitzschalen zu, die Medaille bekommt er in einem Geisterstadion.
Sieht so der Karrierehöhepunkt aus?
Die Sportler frustriert das zunehmend. "Wir können es alle sehen: Es ist ein Desaster", sagte der Zehnkampf-Weltmeister von 2017, Kevin Mayer (Frankreich), der L'Equipe nach den ersten Tagen. Die Aktiven aber stehen in Katar nicht im Mittelpunkt. Eingestehen darf Sebastian Coe, der Präsident des Weltverbands das nicht. Zum einen war er, damals noch Vizepräsident, selbst an der WM-Vergabe beteiligt. Die Vergabe unter dem korrupten Ex-Präsidenten Lamine Diack, der im Hausarrest in Paris sitzt, beschäftigt aktuell die französische Staatsanwaltschaft. Zum anderen kann Coe es sich nicht leisten, die reichen Kataris zu vergraulen. Doch wenn er die Veranstaltung lobt, macht er sich auch unglaubwürdig. Also umgeht Coe klare Antworten, wo er kann.
Was sich nicht leugnen lässt: Katar fehlt die Sportkultur. Das Land richtete in den vergangenen Jahren zwar Großereignisse wie die Weltmeisterschaften im Handball, Schwimmen oder Turnen aus – jetzt eben Leichtathletik. Ein Standing haben diese Sportarten am Golf aber nicht. Die Tradition liegt eher bei der Falkenjagd, Kamel- oder Pferderennen.

Eine der höchsten Übergewichtsraten der Welt

Leichtathletik ist in Katar kaum verankert. Kein Wunder bei den Temperaturen – und der Infrastruktur. Unter der Skyline aus Glas- und Stahltürmen sind die Straßen vollgestopft. Zu Fuß bewegt sich hier kaum jemand. Katar hat eine der höchsten Übergewichtsraten der Welt. Das Organisationskomitee verweist auf die Disziplinen: Das Interesse der Locals liege eher bei Mittel- und Langstreckenläufen als bei traditionellen Sprint-Events, heißt es.
Tatsächlich sind auch die Abläufe im Stadion nicht ganz einfach zu durchschauen. Der Tag beginnt gegen 16 Uhr und endet erst kurz vor Mitternacht. Nicht gerade familienfreundlich. Zum vermeintlichen Höhepunkt sind viele Zuschauer dann schon wieder gegangen. Und zwischendrin? Immer wieder Leerlauf und Langeweile. Blöcke von einer halben Stunde, in denen gar nichts passiert. Da nützt auch die erträgliche Temperatur in der klimatisierten Arena wenig.
Auch das LOC klagt über den Zeitplan. Die Schuld gibt es indirekt dem Verband. Von wegen neue Märkte: Der Plan bediene ja doch wieder die alten. "Wir stehen vor der Herausforderung, dass der Zeitplan sich am globalen Fernsehmarkt ausrichtet", hieß es in der Mitteilung am Montag. Die Finals am späten Abend wirkten sich entsprechend auf die Zahl der Zuschauer aus. Man sei aber zuversichtlich, dass man das mit "zusätzlicher Kommunikation" in den Griff kriege.

Mit der Kommunikation ist es auch so eine Sache. Die Werbung für die WM hält sich in der Stadt in Grenzen. Das Auffälligste sind noch die Busse, die vom staatlichen Anbieter in Türkis ihren Weg durch die Stadt kämpfen. Am Highway Richtung Aspire Zone sind zwar Plakate und Fahnenmasten zu sehen, Schrift und Motive aber so unscheinbar, dass sie kaum Interesse wecken und man sie wohl auch nur lesen kann, wenn man mal wieder im Stau steht.
Gastarbeiter, die teilweise aus leichtathletikbegeisterten Ländern stammen, schicken das wenige Geld, das sie hier verdienen, lieber nach Hause, als es für Tickets (60–300 Riyal, umgerechnet 15–70 Euro) und Cola (10 Riyal) im Stadion auszugeben. Beim Kaffee (22 Riyal) stehen dann auch vor allem Journalistinnen und Journalisten an.
Dabei hatte der Leichtathletik-Verband sich manches einfallen lassen, um den Sport attraktiver zu machen. Die Reaktionen waren bislang wenig ermunternd. Die Umbenennung des Weltverbands von IAAF in World Athletics sorgte allenfalls für Stirnrunzeln. Die halbherzigen Lasershows vor den Sprints, bei denen die Sportler im Dunkeln auf der Bahn warten und in der Aircondition auskühlen, für Kopfschütteln. 


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